Kleine Psychologie des Kommentierens im Web

Manchmal macht es Sinn, schon etwas ältere Fach- oder Blogbeiträge noch einmal hervorzuholen und aufzubereiten. Erst recht, wenn es sich um Evergreen-Content handelt. Den nachfolgenden Beitrag habe ich vor einiger Zeit als Gastbeitrag verfasst. Menschen und ihr Verhalten haben sich inzwischen nicht verändert, Social Media gibt es noch und die Menschen kommentieren noch …

Wir drehen mal ein wenig an der Zeitmaschine und blicken ins Jahr 2006 zurück. Für die allermeisten war das Internet tatsächlich noch „Neuland“ und Social Media nur Eingeweihten ein Begriff. „Du musst unbedingt bei OpenBC mitmachen, das ist ein neues und cooles Online-Business-Netzwerk“, verkaufte mir damals ein Radiokollege das heutige Xing als DEN neuen heißen Scheiß. Und ich war recht schnell recht enttäuscht ob der Erkenntnis, dass ich dort zunächst einmal unbeachtet meine Runden drehte. Irgendwie öde, wenn man virtuell noch keine Kontakte hat. Niemand nimmt Notiz von dem, was man tut und man selbst bekommt von dem, was andere tun, ebenso wenig mit.

Der Mensch, das soziale Wesen

Nun sind wir Menschen von Natur aus soziale Wesen. Spätestens seit der Psychologe Abraham Maslow seine Bedürfnispyramide veröffentlicht hat wissen wir, dass wir, sobald unsere existenziellen Bedürfnisse befriedigt sind, nach Zuneigung, Liebe, sozialer Anerkennung und Zugehörigkeit verlangen. Und anders als noch im Jahr 2006 leben wir diese Bedürfnisse heute – in Zeiten der totalen Vernetzung – ganz selbstverständlich im Social Web aus.

Wir können Inhalte liken und damit allen anderen signalisieren, dass wir sie mögen. Wir können sie teilen und damit als Tippgeber für das eigene Netzwerk fungieren. Und wir können zu nahezu allem unseren Senf dazugeben (dazu habe ich einen weiteren Beitrag verfasst, welchen Sie lesen können, wenn Sie HIER klicken). Jeder hat im Social Web jederzeit eine Stimme.

Interaktion ist die Währung des Social Web

Wer selbst eine Fanpage oder einen Blog betreibt, der wird mir zustimmen: Interaktion ist die Währung des Social Web und der Lohn für harte Arbeit. Dass andere die eigenen Inhalte teilen und kommentieren zeigt dem Verfasser, dass das, was er zu sagen hat, für andere relevant ist. Es zahlt also auch auf sein Sozialbedürfnis (wir erinnern uns, Stufe drei der Maslowschen Bedürfnispyramide – soziale Anerkennung, Zugehörigkeit) ein. Und mehr noch, denn auch der Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung (Stufe vier nach Maslow) wird erfüllt – jedenfalls dann, wenn die Kommentare konstruktiv und wertschätzend formuliert sind. Warum das Kommentieren in Blogs wichtig ist, hat Steve Naumann in seinem Beitrag eingehend beleuchtet.
Ebenso wie die Autoren haben natürlich auch die Kommentatoren diese sozialen Grundbedürfnisse, die sie mit ihrem Verhalten im Social Web befriedigen wollen. Und je nach individueller Prägung und Vermögen treibt dieses zuweilen komische Blüten.

Kleine Typologie der Kommentatoren

Wenn Sie aufmerksam durch Blogs, Foren und Facebook-Seiten blättern, dann fallen Ihnen einige Kommentatoren recht schnell wegen ihres stereotypen Stils auf. Bei einigen merkt man sofort, dass sie jeweils nur die Überschrift oder den Vorspann gelesen haben und sich sogleich berufen fühlen, ein pauschales (und meist destruktives) Urteil abzugeben. Ich beleuchte hier die fünf wesentlichen Kommentatorentypen ein wenig näher (inspiriert hat mich dabei ein focus-Bericht) und auch, wie Sie als Blog- oder Seitenbetreiber am besten mit ihnen umgehen.

1.    Der Pöbler

Der Pöbler richtet sich gegen die im Artikel vertretene Meinung und äußert sich nur zu einem Teilaspekt der Debatte. Seine Kommentare sind relativ kurz und ihre argumentative Güte ist eher gering (Beispiel: „Wer braucht denn diesen Mist?“). Der Pöbler verwendet eine unhöfliche Sprache und versucht erst gar nicht, Argumente zu integrieren. Er ist aktiv und verfolgt die Debatte hartnäckig, um immer wieder herumzuätzen.

2.    Der Musterschüler

Der Musterschüler bezieht sich weniger auf andere Kommentatoren und vertritt eher die Meinung des Autoren. Seine Frequenz ist geringer als die des Pöblers, dafür sind seine Kommentare recht lang und vereinen unterschiedliche Aspekte. Der Musterschüler argumentiert auf einem hohen Niveau und in einem freundlichen Ton, welcher ihm Leserempfehlungen einbringt. Meist äußert er sich recht zeitnah nach Erscheinen eines Artikels, verfolgt die nachfolgende Diskussion jedoch nicht akribisch.

3.    Der Besserwisser

Auch der Besserwisser bezieht sich weniger auf andere Kommentatoren, provoziert mit seinen bissigen Kommentaren jedoch, dass andere sich auf ihn beziehen. Kaum ist ein Artikel erschienen, ist der Besserwisser am Start. Und natürlich vertritt er genau die entgegengesetzte Meinung. Er pickt sich ein oder zwei Argumente heraus und schickt sich argumentativ recht geschickt, aber eher auf einem mittleren Niveau an, diese zu widerlegen. Seine Scharfzüngigkeit gleitet gern einmal ins Beleidigende ab. Er polarisiert und bekommt dadurch viele Leserempfehlungen. Die sich entspinnende Debatte verfolgt der Besserwisser selten.

4.    Der Bemühte

Der Bemühte scheint am Bildschirm zu kleben. Er äußert sich zu fast allen Aspekten und bezieht sich auf andere Kommentatoren. Der Ton seiner Kommentare ist meist freundlich, die Qualität seiner Argumentation dagegen eher mittelmäßig. Er kommentiert eifrigst, schafft es jedoch eher nicht, die Argumente anderer schlüssig zu integrieren. Ein Grund, weshalb seine Kommentare von anderen wenig empfohlen werden. Dennoch verfolgt der Bemühte die Debatte mit großer Ausdauer und wird nicht müde, Kommentare abzusetzen.

5.    Der Troll

Der Troll hat nur ein Ziel: stören, sabotieren, kaputt machen. Entsprechend fallen seine Kommentare aus. Sie reichen von sinnfreiem Frohsinn bis hin zu aggressiven Angriffen. Trolle sind Personen, die ihr destruktives Verhalten absichtlich oder aufgrund einer heftigen psychischen Störung an den Tag legen. Mal sind sie genauso schnell wieder weg wie sie gekommen sind. Manchmal sind sie recht hartnäckig. Und manchmal wird aus einem ganz normalen Internetnutzer plötzlich ein Troll. Die Gefahr ist montags besonders groß, hat Zeit online herausgefunden.

Natürlich gibt es von diesen fünf Grundtypen noch jede Menge Abwandlungen und Entartungen. Wenn Ihnen spontan Typen einfallen, die ich explizit nicht erwähnt habe, dann prüfen Sie einmal, in welche dieser fünf Kategorien sie sich vielleicht einordnen lassen. Und natürlich gibt es tatsächlich auch ganz normale Menschen (und zum Glück ist das sogar die Mehrheit), die ohne überzogene Emotionen und mit Wertschätzung für andere ihre Meinung sagen, faire Kritik üben und den Autor sogar gegen unqualifizierte Angriffe verteidigen.

Umgang mit Kommentatoren

Was heißt das nun aber für Sie, wenn Sie einen Blog, eine Facebook-Fanseite oder ein Forum betreiben? Zunächst einmal, dass Sie für die unterschiedlichen Kommentatorentypen unterschiedliche Strategien brauchen. Sich auf eine Diskussion mit Pöblern oder Trollen einzulassen ist sinnlos – hier gilt es, Grenzen aufzuzeigen und deren Einhaltung durchzusetzen. Denn egal, was in deren Leben schief läuft, so dass sie sich in ein derart destruktives Verhalten flüchten – Sie werden es nicht auflösen können. Musterschüler mögen auf den ersten Blick ein wenig anstrengend wirken (Wer fand die Streber in der Schule schon einfach sympathisch?), sie bereichern die Diskussion jedoch mit Fakten und Argumenten, komplettieren damit Ihr Thema und geben Ihnen wertvolle Impulse. Zudem sind sie Ihnen tendenziell wohlgesonnen. Ein Grund mehr, die Musterschüler als Verbündete zu betrachten und entsprechend wertschätzend auf ihre Kommentare zu reagieren.

Bei Besserwissern ist weniger manchmal mehr. Sie müssen nicht auf jeden ihrer Kommentare sofort reagieren, auch, wenn Sie sich durch ihre belehrende Art angegriffen fühlen. Häufig springen Ihnen andere Kommentatoren zur Seite und weisen den Besserwisser in seine Schranken. Wenn Sie ihm antworten, bleiben Sie so sachlich wie möglich und lassen sich nicht provozieren. Der Bemühte wird sich freuen, wenn Sie ihm Ihre Aufmerksamkeit schenken und damit anerkennen, dass er sich einbringt – auch, wenn jenes nicht viel Substanz hat.

Fazit:

Soziale Anerkennung und Zugehörigkeit sind wichtige Treiber für Menschen. Letztlich wollen wir alle geliebt werden und dazugehören. Wer hier einen Mangel im realen Leben verspürt, der neigt nicht selten dazu, diesen mit einem besonders aggressiven, mit überheblichem oder belehrendem Auftreten im Social Web kompensieren und erzwingen zu wollen. Wertschätzung für andere ist jedoch Voraussetzung dafür, selbst Wertschätzung zu erfahren. In der Psychologie gibt es hierfür einen recht einfachen, aber ebenso treffenden Merksatz: Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter aus als über Paul.

Wenn Sie sich Ihren Humor bis hierhin bewahrt haben, können Sie hier testen, welcher Kommentatorentyp Sie sind. Natürlich ist dieser Test mit einem Augenzwinkern zu betrachten… Viel Spaß!

Harriet Lemcke Über Harriet Lemcke
Harriet Lemcke ist Beraterin, Trainerin und Interim Managerin für Unternehmenskommunikation und Organisationsentwicklung und hat langjährige Erfahrung in der internen & externen Kommunikation sowie im Journalismus. In ihrer Arbeit verbindet sie moderne Ansätze in PR und Marketing mit Methoden und Ansätzen aus der Managementlehre und der systemischen Beratung. Sie unterstützt dabei, die Qualität und Effizienz von Kommunikationsprozessen zu verbessern und Ressourcen optimal einzusetzen. Sie haben ein Thema und wollen neue Impulse? Nehmen Sie jetzt Kontakt auf! Zum Beratungsangebot

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