Der VW-Skandal und die Glaubwürdigkeitskrise

12-Punkte-Liste – sicher handeln in der Krise

Unter dem Hashtag #Dieselgate twittert die Welt dieser Tage über die Manipulationen des Autobauers Volkswagen in den USA. Was war passiert? VW hat in den USA offenbar die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen mittels einer ausgeklügelten Betrugs-Software manipuliert. Und zwar so, dass die Abgaswerte nur dann abgesenkt wurden, wenn gerade eine Kontrolle stattfand. Im Normalbetrieb allerdings kam bis zu 40mal mehr Dreck aus dem Auspuff der Volkswagen, als es die amerikanischen Gesetze zulassen. Rund eine halbe Million Autos sollen betroffen sein. Die US-Justiz ermittelt offenbar bereits. Dem Konzern drohen bis zu 18 Milliarden Dollar Strafe. Hinzu kommen die Kosten einer Rückrufaktion und private Schadensersatzforderungen. An der Börse machte die VW-Aktie bereits 23 Milliarden Euro Verlust.

Positionierung und Image

Wäre irgendeine recht unbekannte fernöstliche Automarke betroffen, würden die meisten vermutlich mit den Schultern zucken und die Meldung hätte binnen weniger Tage oder sogar Stunden ihre Medienrelevanz verloren. Es geht aber um VW – den Autokonzern, der sich in seinen Werbebotschaften mit „das Auto“ positioniert und wie die gesamte deutsche Automobilbranche sehr viel Geld in eine professionelle Kommunikation investiert. Und in der Tat: in den Köpfen der Menschen hierzulande steht VW für deutsche Wertarbeit, für deutsche Ingenieurskunst, für solide Technik zu einem bezahlbaren Preis. Bisher.

Das Sauber-Image ist angekratzt. Für VW könnte sich der Dieselskandal zu einer handfesten Imagekrise ausweiten, welche das Potenzial hat, auf die gesamte Branche abzufärben. Die Fragen, die sich nicht nur Verbraucher stellen: Hat VW auch in Deutschland getäuscht? Täuschen möglicherweise auch andere Hersteller? Wie ist es tatsächlich um das Nachhaltigkeitsmanagement bestellt? Das Krisenmanagement und die Krisenkommunikation des Konzerns werden darüber entscheiden, wie groß der Schaden am Ende sein wird.

Qualität der Krisenkommunikation entscheidet über Resonanz

Risiken, Krisen, Konflikte und Skandale erhalten erst durch Kommunikation Resonanz. Und Kommunikation kann man gestalten, steuern und managen. Oftmals verstärkt der falsche kommunikative Umgang mit einer Krise diese noch. Die kommunikative Kompetenz eines Unternehmens und seiner Akteure entscheidet letztlich darüber, wie schnell und mit welchem Ergebnis ein Unternehmen eine Krise bewältigen kann. Für VW geht es jetzt um das Vertrauen seiner Anspruchsgruppen (Stakeholder) – Vertrauen = die härteste und flüchtigste Währung im Geschäftsleben.

Die Anspruchsgruppen erwarten angemessene Reaktionen seitens des Konzerns. In einer solchen Situation muss die höchste Führungsebene Verantwortung übernehmen, aktiv kommunizieren und sich für die Aufklärung einsetzen. Und so fand US-VW-Chef Michael Horn bei der Präsentation des neuen Passat auch klare Worte: „Unser Unternehmen war unehrlich. Wir haben Mist gebaut.“


Wenig später dann das ausführliche Statement von (inzwischen Ex-)VW-Chef Dr. Martin Winterkorn:


Eine angemessene Reaktion in dieser Situation. Bei VW existiert ganz offensichtlich ein Krisenhandbuch für die Kommunikation, welches auch Anwendung findet. Jetzt wird es darauf ankommen, wie sich der Konzern in der Folge verhält, wie er die Vorwürfe aufklärt, welche Schlüsse er daraus zieht, welche Konsequenzen folgen und wie professionell und glaubwürdig die Anspruchsgruppen die Kommunikation bewerten. In Deutschland ist VW eine starke Marke, der US-Markt war für den Autobauer hingegen schon immer ein eher schwieriges Pflaster. Der Schutzschild der starken Marke fehlt auf dem amerikanischen Markt.

Im Chinesischen stehen die beiden Zeichen für Krise sowohl für „Gefahr“ als auch für „Gelegenheit“.

Managementprobleme im Umgang mit Krisen

Krisen können ganz plötzlich auftreten, sie können sich aber auch schleichend entwickeln oder periodisch wiederkehren. Ein professionelles Issues Management, also das Erkennen von und der Umgang mit Risiken und Gefahren, sollte daher für jedes Unternehmen selbstverständlich sein. Denn nur wer Risiken identifiziert, analysiert und bewertet kann Strategien für den Fall entwickeln, dass ein Risiko zu einer Krise wird.

In der Praxis sind Unternehmer und Manager – vor allem im Mittelstand – jedoch häufig nicht bereit, in Prävention und Früherkennung zu investieren, Risiken wahrzunehmen und zu identifizieren oder sich proaktiv mit ihnen auseinanderzusetzen. Und das ist nachvollziehbar, bedeutet es schließlich eine nicht unerhebliche Investition in eine Eventualität. Budgets werden im Mittelstand gern in das Unmittelbare investiert – in Produktion, in Vertrieb. Das hat zur Folge, dass der reale Umgang mit Krisen in den allermeisten Fällen das Gegenteil des idealen Umgangs ist. Wunsch und Wirklichkeit liegen also sehr weit auseinander.

Idealtypischer Umgang mit Krisen

1.    Prävention
2.    Früherkennung
3.    Kriseneindämmung
4.    Erholung, Neuanfang
5.    Lernen aus der Krise

Häufiger Umgang mit Krisen in der Praxis

1.    Kriseneindämmung
2.    Erholung, Neuanfang
3.    Lernen aus der Krise
4.    Prävention
5.    Früherkennung

Wie unschwer zu erkennen ist, passiert in der Praxis meist genau das Gegenteil dessen, was idealtypisch angezeigt ist. Statt vorzubeugen und sich rechtzeitig für Krisenfälle zu wappnen, wird die Wahrscheinlichkeit weitgehend ausgeblendet. Die Krise trifft das Unternehmen und seine Verantwortlichen also wie ein Blitz und es kostet zunächst einmal alle verfügbare Energie und Ressourcen, die Krise einzudämmen, sich zu erholen und neu durchzustarten. Ganz nach dem Motto: „aus Schaden wird man klug“ lernen die Unternehmen aus der Krise, erkennen erst dann die Notwendigkeit, in Prävention zu investieren, um künftige Krisen rechtzeitig erkennen zu können und darauf vorbereitet zu sein.

Strategie für ein Handeln in der Krise

Die Krise anzunehmen steht über allem. Solange Sie die Krise leugnen, sind Sie nicht in der Lage, diese aktiv zu managen und provozieren damit unter Umständen ein viel größeres (Medien-)Interesse, mehr öffentliche Kritik und dass das Thema viel länger (als Ihnen lieb ist und nötig wäre) in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Krisenkommunikation

Jedes Unternehmen tut gut daran, sich rechtzeitig um ein Krisenhandbuch für die Kommunikation zu kümmern, die entsprechenden Checklisten in der Schublade und die Rollenverteilung verinnerlicht zu haben. Aber machen wir uns nichts vor: in den allermeisten mittelständischen Unternehmen ist das eher Wunschdenken, denn Realität. Dabei könnten regelmäßige Szenarien helfen, im Krisenfall nicht kopflos zu agieren und zu kommunizieren. Und ganz nebenbei stärken derartige Übungen den Zusammenhalt und zahlen auf Ihre interne Kommunikation ein.

12-Punkte-Liste für sicheres Handeln im Krisenfall

Das Krisenhandbuch, Übungsszenarien und der richtige Umgang mit Journalisten im Krisenfall sind nicht Gegenstand dieses Beitrags. Dennoch möchte ich Ihnen fürs Erste eine Liste mit an die Hand geben, mit deren Hilfe Sie im Krisenfall strukturiert die notwendigen Schritte schnell und geordnet in die Wege leiten können:

 

  1. Kommunikationsziel festlegen!
  2. Krisenklausur mit Kommunikationsprofis (ggf. externe Berater ins Haus holen), Krisenprofis (Frontleute, Management) und Themenprofis (Fachleute)
  3. Standortbestimmung (Was genau ist passiert? Wo stehen wir? Welches sind die Herausforderungen?)
  4. Identifizieren Sie die Gruppen in der Krise (Absender im Unternehmen = Vorstand, Management, Kommunikatoren, Mittler (Medien, Meinungsbildner / Influencer), Betroffene = „Leidtragende“, Rezipienten = Öffentlichkeit – hier entstehen Ihre Image- und Reputationsschäden!)
  5. Teilen Sie die Gruppen in der Krise ein (Protagonisten = stehen in der Krise hinter dem Unternehmen, Ambivalente = sind neutral, abwartend, desinteressiert und Kontrahenten = haben einen negativen Standpunkt, sind Gegner des Unternehmens)
  6. Behandeln Sie die einzelnen Gruppen unterschiedlich (Protagonisten = wertvolles Krisenkapital, Ambivalente = sind tendenziell positiv zu stimmen, Kontrahenten = stehen unter ständiger Beobachtung mit dem Ziel, ihre Anzahl zu reduzieren und ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern)
  7. Schätzen Sie die Ressourcen ein! KrisenkommunikationMit einer solchen Matrix gewinnen Sie recht schnell einen Überblick darüber, welche internen und externen Ressourcen Sie heranziehen können, um Ihre Kommunikation zu unterstützen. Gleichsam wird anschaulich dargestellt, welche offenen Flanken Sie schützen und welche externen Bedrohungen Sie mittels Krisenkommunikation entschärfen müssen.
  8. Schätzen Sie die Medien ein! Krisenkommunikation - Einschätzung der MedienDieses ist natürlich nur ein Beispiel, welches jedoch deutlich macht, wie Sie sich einen Überblick darüber verschaffen, ob und wie über Sie berichtet wird. Das erlaubt es Ihnen, gezielt und aktiv gegenzusteuern.
  9. Zentrale taktische Frage: Wo setzen wir den Hebel an?
  10. Argumentation aufbauen = formulieren Sie Ihre Kernaussage mit Begründung
  11. Zeitmanagement im Krisenfall = legen Sie eine Hierarchie der Tätigkeiten fest KrisenkommunikationTätigkeiten, die dringend und wichtig sind, haben Priorität. Gefolgt von jenen, die wichtig, aber nicht dringend sind. Dringende Tätigkeiten, die jedoch nicht wichtig sind folgen in der Hierarchie an dritter Stelle und Tätigkeiten, die weder wichtig, noch dringend sind bleiben vorerst liegen.
  12. Gehen Sie nach außen!

 

Akzeptieren Sie, dass Sie die Berichterstattung der Medien nicht direkt beeinflussen können. Von Ihrer Kommunikation und Ihrem Umgang mit Medienvertretern hängt es jedoch maßgeblich mit ab, ob sich die Skandal- oder Krisengeschichte lange in den Medien hält (weil es immer wieder einen Anlass für einen „Weiterdreh“ gibt) oder aber recht schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwindet (weil Ihr Unternehmen keinen Stoff für Nebenkriegsschauplätze etc. liefert, die aufgebrachten und verunsicherten Anspruchsgruppen glaubwürdig beruhigt und sich auch sonst vorbildlich verhält und damit das allgemeine Interesse schon nach kurzer Zeit abebbt). Ein sehr gutes Beispiel für umgehende Krisenkommunikation habe ich in diesem Blogbeitrag näher beleuchtet.

Fazit:

Jedes, wirklich jedes Unternehmen kann in eine interne oder externe Krise geraten, verschuldet oder unverschuldet. Ist das Unternehmen nicht auf diesen Fall vorbereitet, existiert kein Krisenhandbuch, gibt es keine Checklisten für die Kommunikation und sind die Akteure nicht entsprechend geschult, gerät das Unternehmen schnell in die Defensive. Die kommunikative Kompetenz des Unternehmens und seiner Akteure entscheidet letztlich darüber, wie schnell und mit welchem Ergebnis ein Unternehmen eine Krise bewältigen kann. Völlige Transparenz ist dabei ebenso hinderlich wie Mauern oder Salamitaktik. Das Gebot der Stunde heißt: „angemessen kommunizieren“. Dazu müssen Ziele des Unternehmens und Erwartungshaltungen der Gruppen in der Krise klar sein. Vergessen Sie nicht: in der Öffentlichkeit entstehen Ihre Image- und Reputationsschäden.

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Harriet Lemcke Über Harriet Lemcke
Harriet Lemcke ist Beraterin, Trainerin und Interim Managerin für Unternehmenskommunikation und Organisationsentwicklung und hat langjährige Erfahrung in der internen & externen Kommunikation sowie im Journalismus. In ihrer Arbeit verbindet sie moderne Ansätze in PR und Marketing mit Methoden und Ansätzen aus der Managementlehre und der systemischen Beratung. Sie unterstützt dabei, die Qualität und Effizienz von Kommunikationsprozessen zu verbessern und Ressourcen optimal einzusetzen. Sie haben ein Thema und wollen neue Impulse? Nehmen Sie jetzt Kontakt auf! Zum Beratungsangebot

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4 Gedanken zu „Der VW-Skandal und die Glaubwürdigkeitskrise“

  1. Der Skandal von VW wird sich ganz deutlich in den verschiedensten Bereichen zeigen. Hier bedarf es jetzt unbedingt der Aufklärung, um nicht weiter zu sinken. Was die Aktien anbelangt bin ich sehr gespannt darauf, was uns da in Zukunft erwarten wird.

    Antworten
  2. Moin Moin,

    vielen Dank für Ihren Kommentar. Was den Betrug bei VW anbelangt, bin ich ganz bei Ihnen. Aufklären und Verantwortliche bestrafen. Die Manipulation selbst, ihre Hintergründe oder Ausmaße einzuordnen oder moralisch zu bewerten war und ist jedoch nicht Gegenstand meines Beitrags. Der Artikel fokussiert ausschließlich auf die Kommunikation in der Krise.

    Herzliche Grüße,
    Harriet Lemcke

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