Erzählen Sie doch keine Geschichten!

Warum Storytelling kein Allheilmittel für die Unternehmenskommunikation ist und wie sie Sie eine wirklich gute Geschichte entwickeln

Wann immer meine Oma mir früher eine Gute-Nacht-Geschichte versprach, war ich schneller im Bett als sie bis drei zählen konnte. Ihre Art und Weise, immer neue und spannende Geschichten zu erzählen und einmal begonnene fortzuspinnen – unerreicht.

Genau das Gleiche passiert heute noch, wenn Inhalte in Form von Geschichten daherkommen, diese in uns Bilder erzeugen und vielleicht sogar eigene Erinnerungen wachrufen. Haben Sie Gute-Nacht-Geschichten auch geliebt, als Sie noch klein waren? Dann hatten Sie vermutlich gerade Ihre Erinnerungen im Kopf.

„Menschen lieben Geschichten“ las ich kürzlich als Überschrift zu einem Artikel, in dem es um den Einsatz von Storytelling im Marketing ging. Spätestens seit das Marketing dieses Stilmittel für sich entdeckt hat, wabern Schlagworte wie „Content Marketing“ und „Storytelling“ permanent durch alle Medien und Kanäle. Es ist total angesagt, mit Inhalten zu vermarkten und die eigenen Inhalte dafür crossmedial zu vermarkten. Und das geht eben nur  – Sie ahnen es – mit Storytelling.

Warum eine Geschichte nicht automatisch eine gute Geschichte ist

Es gibt brillante Geschichten und es gibt unzählige schlechte Geschichten in unserer analogen und digitalen Welt. Finde ich zumindest. Irgendwie scheinen viele Organisationen falsch abgebogen und der Ansicht zu sein, Unternehmenskommunikation ginge nicht mehr ohne Storytelling. Und das ist Quatsch. Selbst Pressemitteilungen lesen sich zuweilen wie der Einleitungstext von Belletristik. Solche Geschichten dann crossmedial über alle Kanäle zu spielen und aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen, macht sie keineswegs besser.

Warum gibt es so viele schlechte Geschichten? Weil viele von ihnen nur Mittel zum Zweck sind, um ein Produkt oder ein Unternehmen in einem guten Licht erstrahlen zu lassen. Weil erschreckend oft das eigene Produkt oder Unternehmen der Held der Geschichte ist. Es geht also um simple Marketing- und Vertriebskommunikation, die im Deckmäntelchen einer Geschichte daherkommt. Das mag in früheren Jahrzehnten gut funktioniert haben. Weil es damals noch neu war und das Grundrauschen der Kommunikation vergleichsweise leise. Heute jedoch, in unserer überkommunizierten und digitalisierten Gesellschaft, lockt das keinen der gut informierten und kritischen Nutzer hinter dem Ofen vor. Storytelling in einem solchen Kontext und mit einem solchen Angang wird im Ergebnis als das wahrgenommen, was es vom Zwecke her letztendlich ist: unerwünschte Werbung.

Denken Sie neu – jede Organisation hat ihre Geschichten

Dabei sind wirklich gute Geschichten in wirklich jedem Unternehmen zu finden – wenn man nur etwas intensiver gräbt. Meiner Erfahrung nach müssen diese wie ein Schatz gehoben werden – sie werden höchst selten oder nie in den Marketingabteilungen oder Agenturen erfunden. Bevor Sie also das nächste Meeting anberaumen, um sich ein weiteres Märchen zu Ihrem Unternehmen, seinen Produkten oder einem Ereignis auszudenken, besinnen Sie sich auf das, was in der Kommunikation wirklich wichtig ist: erkennen Sie im vermeintlich Trockenen und Sachlichen die Zusammenhänge und die Dramaturgie. Erzählen Sie echte und packende Geschichten aus Ihrem Unternehmen und von den Menschen, die darin arbeiten. Und wenn Sie es besonders gut machen, dann können Sie auch Metaphern für etwas entwickeln, was sonst schwer zu erfassen ist. Ein wie ich finde gelungenes und schon recht altes, aber noch immer funktionierendes Beispiel sind die Ratiopharm-Zwillinge des gleichnamigen Pharmaherstellers, welcher ausschließlich so genannte Generika, also Zwillingsmedikamente zu bekannten Marken, produziert.

Was braucht es für eine wirklich gute Geschichte?

Langweilige Texte und müde Videos interessieren wirklich niemanden. Der Schlüssel für die Aufmerksamkeit ist die Relevanz für den Empfänger. Sie allein entscheidet, ob Ihre Geschichte in ihm etwas auslöst und er letztlich bereit ist, Ihnen zuzuhören und Ihnen zu folgen.

Wie aber erzählt man nun diese richtig guten Geschichten? Anregungen dazu finden sich reichlich im Buch „Storytelling“ von Pia Kleine Wieskamp, welches im Sommer 2016 erschienen ist. Methodisch sauber definiert die Autorin gleich zu Beginn des Buches den Gegenstand desselben. Auf knapp 280 Seiten wird das Thema des Buches von allen Seiten und in unterschiedlicher Tiefe beleuchtet. Das resultiert nicht zuletzt daraus, dass neben Pia Kleine Wieskamp elf Co-Autoren aus der Kommunikationspraxis zu Wort kommen. Ein Farbschema trennt die Texte der Autorin (blau) von den Artikeln der Co-Autoren (grün).

Storytelling von Pia Kleine Wieskamp - Rezension pr-perlen.de

Die Autorin spannt einen weiten Bogen um das Thema Storytelling. Sie zeigt, wo und wie dieses Instrument zum Einsatz kommt, wie Geschichten im Gehirn wirken und auch, was einen guten Storyteller ausmacht. Der Leser lernt etwas über die Grundelemente einer guten Geschichte und erfährt ebenfalls, welche technischen Herausforderungen es zu meistern gilt, damit die Geschichte nicht nur zu den Empfängern, sondern auch noch zu den unterschiedlichen Medien (respektive Kanälen) passt, über die sie digital verbreitet wird. Denn auch der technische Part gehört heute untrennbar dazu.
Wie häufig bei Büchern, an denen mehrere Autoren mitwirken, sind nicht alle Beiträge von gleichbleibender Qualität und Tiefe. Letztendlich wird jeder Leser für sich entscheiden, welcher Beitrag ihn weiterbringt und welcher Schreibstil ihn an meisten anspricht. Dem möchte ich an dieser Stelle nicht vorgreifen.

Verschweigen möchte ich jedoch nicht, dass das Buch mit einer Reihe von Fallbeispielen aufwartet, einen Story-Baukasten und Checklisten bereithält. Und dass die Autorin einen Blick in die Zukunft wirft. Aus meiner Sicht liegt die größte Herausforderung in der Haltung, Geschichten zu erzählen, die für den Empfänger tatsächlich relevant sind und die angesprochene Zielgruppe über die definierten Kanäle hinweg tatsächlich zu erreichen. Gerade, wenn kein Millionenbudget zur Verfügung steht, ist die richtige Content Strategie dafür essenziell.

Dass „Geschichten erzählen“ nicht nur eine Sache der externen, sondern ebenfalls der internen Kommunikation ist, habe ich in einem früheren Beitrag schon einmal beschrieben. Wenn Sie hierzu weiteren Input wollen, empfehle ich Ihnen den Beitrag und das Interview des Kollegen Ed Wohlfahrt aus Österreich. Zudem lege ich Ihnen als Ergänzung den Beitrag „Storytelling – alles neu macht der Messenger“ des geschätzten Kollegen Stefan Schütz ans Herz.

Fazit:

Jedes Unternehmen hat Material für gute Geschichten. Sie müssen wie ein Schatz gehoben und mit dem richtigen Handwerkszeug erzählt und geteilt werden. Relevanz für den Empfänger entscheidet darüber, ob sich dieser emotional angesprochen fühlt und auf das Erzählte einlassen möchte. Für Praktiker in Unternehmen, Institutionen und Agenturen ist das Buch von Pia Kleine Wieskamp ein gutes Lern- und Nachschlagewerk mit Kreativitätstipps und nützlichen Checklisten.

Harriet Lemcke Über Harriet Lemcke
Harriet Lemcke ist Beraterin, Trainerin und Interim Managerin für Unternehmenskommunikation und Organisationsentwicklung und hat langjährige Erfahrung in der internen & externen Kommunikation sowie im Journalismus. In ihrer Arbeit verbindet sie moderne Ansätze in PR und Marketing mit Methoden und Ansätzen aus der Managementlehre und der systemischen Beratung. Sie unterstützt dabei, die Qualität und Effizienz von Kommunikationsprozessen zu verbessern und Ressourcen optimal einzusetzen. Sie haben ein Thema und wollen neue Impulse? Nehmen Sie jetzt Kontakt auf! Zum Beratungsangebot

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